6. Etappe, 18.9.2023: Die bisherigen Radtage in Montenegro waren alle großartig. Heute geht’s u.a. rund 70 Kilometer durch Albanien bevor wir wieder montenegrinischen Boden erreichen. Praktisch eine „Transfer-Etappe“ ohne große Erwartungen. Aber weit gefehlt! Der Abschnitt durch Albanien sollte eines der absoluten Highlights der gesamten Reise werden …
„Guten Morgen“ im Komovi-Gebirge
Der Wecker läutet kurz nach 6:00 Uhr, trotzdem ist es bereits etwas zu spät. Der Sonnenaufgang ist nämlich schon im Gange und die rund 50 Höhenmeter auf den Bergrücken, der etwas oberhalb unserer Hütten liegt, sind noch zu überwinden. Aber egal, oben angekommen fasziniert der Rundumblick. Die tiefstehende Sonne leuchtet die Berge perfekt aus und die Stille auf 1.800 Metern Höhe ist eine Wohltat. Noch besser kann ein „guter Morgen“ wohl nicht beginnen, als hier im Komovi-Gebirge. Aber genug der Worte, lassen wir die Bilder dieses Morgenspazierganges sprechen …
Danach gibt es in Branko’s Konoba Frühstück und wie bereits beim Abendessen am Tag zuvor tischt Hüttenwirt Branko wieder groß auf. Ausreichend gestärkt, starten wir also in den Radtag – ohne abschließendem Gruppenfoto gibt’s aber keine Startfreigabe:
In den Osten Montenegros
„Es kommt keine Langeweile auf“ – so wurde der etwas schadhafte Asphalt während der gestrigen Auffahrt auf den Trešnjevik-Pass umschrieben. Ähnlich abwechslungsreich gestaltet sich leider auch die Abfahrt nach Andrijevica. Denn die fein asphaltierte Sackstraße von Branko’s Hüttendorf mündet am höchsten Punkt in die Bergstraße des Trešnjevik-Überganges und von hier geht’s eben auf etwas holprigem Geläuf weiter bergab.
Ab Andrijevica rollt es wieder ohne Probleme nach Plav und weiter in Richtung zur Staatsgrenze nach Albanien. Nachdem heute Sonntag ist, sind in den Ortschaften viele Einheimische unterwegs, die die serbisch-orthodoxen Kirchen besuchen. Positiv fällt uns dabei die Freundlichkeit bzw. Offenheit der Menschen auf, denn wir werden einige Male höflich begrüßt und gar beklatscht, als wir die Orte passieren.
Albanien und seine Überraschungen
Aus den spärlich verfügbaren Radreiseberichten über Albanien geht fast immer hervor, dass Rennrad und Albanien wenig kompatibel sei. Von zum Teil abenteuerlichen Straßenverhältnissen wird des Öfteren berichtet. Je breiter, desto besser lautet daher die Empfehlung bezüglich Reifen, also mindestens 30 Millimeter. Unser montenegrinischer Radvermieter dürfte davon eher wenig halten, denn unsere Räder rollen auf 25er-Reifen. Naja, er wird’s wohl besser wissen. Oder einfach keine anderen Straßen kennen. Egal.
Wir stellen jedenfalls fest: Er weiß es besser. Denn das Thema Reifen ist während unserer 70 Kilometer durch Albanien kein Thema. Uns beeindrucken perfekt ausgebaute Straßen und glatter Asphalt! Einzig diese Brücke kurz nach dem Grenzübergang in der Ausführung „Holzboden rustikal“ will nicht ganz ins Bild passen …
Neben den Straßenverhältnissen ist aber vor allem die Landschaft beeindruckend. Interessant ist auch so manches Anwesen bzw. was wir sonst so zu sehen bekommen, wie etwa diese Heuschober:
Am 1.355 Meter hohen Qafa e Bordolecit stärken wir uns in einer kleinen Gaststätte. Eine aus Deutschland stammende Dame fungiert als Dolmetscherin und so bekommen wir ein Allerlei von verschiedenen Gerichten serviert. Oder was eben die Küche gerade so hergibt, denn auf 14 Gäste war man nicht ganz vorbereitet.
Eine kuriose Situation
Bereits in Montenegro wurden wir so manches Mal von Einheimischen freundlich begrüßt, wenn wir auf unseren Rädern durch Ortschaften radelten. Ebenso in Albanien – aber folgende Situation ist für uns ganz neu:
Am Beginn des Anstieges auf den Lek e Hotit geht wem die Luft aus, genauer gesagt dem Schlauch im Reifen. Einige helfende Hände halten zur Behebung des Schadens ebenso an, der Rest der Truppe nimmt den Anstieg in Angriff. Das Problem ist rasch behoben und wir steigen gerade – etwas in der Mitte des Fahrstreifens stehend – wieder auf die Räder und fahren los. Im nächsten Moment erblicken wir einen relativ opulenten SUV eines bekannten deutschen Automobilherstellers, der die Bergstraße herunterkommt. Der Fahrer bremst auf beinahe Schrittgeschwindigkeit ab und kurz vor uns lässt er das Fenster runter. Geprägt von einiger Lebenserfahrung als mitteleuropäischer Radfahrer befürchten wir schon kritische Worte, auch wenn wir uns keiner Schuld bewusst sind. Einzig das Anfahren auf Mitte des rechten Fahrstreifens könnte man uns irgendwie zur Last legen. Aber ganz im Gegenteil: Der Fahrer bleibt nun stehen, streckt uns aus dem offenen Fenster anerkennend den Daumen entgegen, grüßt uns dabei und hält uns sodann seine offene Hand ganz aus dem Auto. Der will tatsächlich mit uns abklatschen! Überrascht von der Situation machen wir das auch, danach fährt er weiter. So etwas hat keiner von uns noch je erlebt.
Wunderschön
Mit jedem Kilometer der langen Abfahrt vom Qafa e Bordolecit wird die Landschaft (gefühlt) spektakulärer. Die grüne Vegetation und die steilen Felswände sind herrlich anzusehen – wie hier, kurz vor Ostrici:
Die Abfahrt führt uns bis in den Talboden einer Schlucht, wo sich außer Schutt eben nur die relativ neue Straße befindet. Ob diese Straße bei starker Schneeschmelze oder im Falle von Starkregen auch noch befahrbar ist, wäre interessant. Ebenfalls interessant ist der Umstand, dass wir uns hier auf nur 200 Meter über dem Meeresspiegel befinden. In Anbetracht steiler Felswände und Schotter glaubt man sich eher in wesentlich höheren Gebirgslagen zu befinden.
Eine sensationelle Bergstraße
Das absolute Highlight dieses Radtages erleben wir am (bereits erwähnten) Anstieg auf den Lek e Hotit. Eine Passstraße, die erst vor wenigen Jahren beeindruckend in die steilen Berghänge gebaut wurde, deren höchster Punkt jedoch auf nur 730 Metern liegt. Die rund 500 Höhenmeter Anstieg sind ein (Rad-)Erlebnis, das man so normalerweise nur von kehrenreichen Passstraßen in den Alpen kennt.
Die Szenerie von beeindruckender Trassenführung in ebensolcher Landschaft findet in der letzten Kehre vor der Passhöhe in Form einer Aussichtsterrasse mit einem Sky-Walk auch eine entsprechende Würdigung. Dieser schließen wir uns an, denn die Aussicht auf die unter uns liegende Bergstraße und in die umliegende Bergwelt ist in der Tat fantastisch. Noch dazu steht hier oben ein kreativer Einheimischer mit seinem Klein-LKW, der allerlei Getränke und einige Snacks verkauft. Und ja, auch die albanischen Biersorten trinken sich ausgezeichnet …
Die spektakuläre Aussicht und (wir geben es zu) das bemerkenswerte „Produktportfolio“ des erwähnten Straßenhändlers laden zum Verweilen ein. Einzig die bereits etwas fortgeschrittene Uhrzeit zwingt uns zum baldigen Aufbruch, denn bis zu unserem Tagesziel Virpazar sind noch rund 60 Kilometer ausständig.
In der Dämmerung ins Tagesziel
Die Abfahrt vom Lek e Hotit zum Skadarsee und damit zur Grenze nach Montenegro ist ebenso großartig zu fahren. Wieder bester Asphalt, mäßiges Gefälle und schöne Kurven bieten wunderbares Rennradvergnügen.
Die Grenzformalitäten und ein in Montenegro defekter Fahrradschlauch kosten uns zusätzlich noch etwas Zeit. Daher erreichen wir nach einem engagierten Mannschaftszeitfahren bei bereits einsetzender Dämmerung Virpazar, wo wir schon am ersten Tag genächtigt hatten.
Es war ein genialer Radtag, speziell der Abschnitt durch Albanien war eine positive Überraschung in jeglicher Hinsicht. Unsere Radrundreise ist damit aber noch nicht beendet, denn morgen folgt die letzte Tour am Südufer des Skadarsees. Als Vorbereitung darauf genießen wir ein ausgiebiges Abendessen und einige Getränke am „Hauptplatz“ im beschaulichen Virpazar. Das hätten wir aber ehrlicherweise auch ohne anstehende Radtour gemacht …