Three Peaks Bike Race 2024

Ein Bericht von Obmann Gerhard Trimmel.

Warum das Ganze nochmals (sein muss) …

Nachdem meine erste Teilnahme am Three Peaks Bike Race 2022 grundsätzlich sehr positiv verlief (einen ausführlichen Bericht darüber gibt es hier …), meldete ich mich also auch für die 2024er-Ausgabe des Three Peaks an. Denn „grundsätzlich“ schließt ein gewisses Optimierungspotential mit ein, auch wenn man sich bei solch einem „unsupported bike packing race“ wohl nie einen 100 Prozent optimalen Verlauf erwarten darf und kann.

Falls die Wortfolge „unsupported bike packing race“ nun Verwirrung auslöst oder generell Unklarheit über das Format des Three Peaks Bike Race besteht – hier gibt’s unter dem „Versuch einer Annäherung“ die Erklärung dazu. Denn besser wird’s nicht …

Die Vorgaben für das Three Peaks 2024

Die anzufahrenden Kontrollpunkte (Checkpoints/CP) und die verpflichtend zu fahrenden Streckenabschnitte („Parcours“) sind folgende:

  • „Start-Parcour“ von Wien bis Mariazell: Die Strecke führt vom Schloss Schönbrunn über St. Corona/Schöpfl, Kaumberg, Adamstal, Kalte Kuchl und Hubertussee nach Mariazell. 137 Km, 2.750 Hm.
  • CP 1 Monte Grappa in Italien: Vorgegeben ist die Strecke Monte Grappa (1.745 m) von Süden, Passo Forcella (917 m) und über den Passo Manghen (2.042 m) ins Fleimstal. 129 Km, 4.500 Hm.
  • CP 2 Grimselpass (2.165 m) in der Schweiz.
  • CP 3 Grand Ballon in Frankreich (Vogesen): Vorgegeben ist die Strecke Grand Ballon (1.343 m), Col du Page (957 m), Ballon de Servance (1.158 m) und Planche des Belles Filles (1.015 m). 88 Km, 2.040 Hm.
  • „Finisher-Parcour“ in Frankreich: Beginnt (oben) in Alpe d‘­Huez (1.860 m) und führt über den Col de Sarenne (1.999 m), Col du Lautaret (2.058 m), Col d‘Izoard (2.360 m), Col de Vars (2.109 m), Cime de la Bonette (2.802 m), Col Saint-Martin (1.500 m), Col de Turini (1.607 m), Col de Castillon (707 m) und Col d‘Èze (507 m) nach Nizza. 380 Km, 9.600 Hm.

Gepäck ist selbstverständlich selbst zu transportieren und fremde Hilfe ist natürlich nicht erlaubt. Nur der Vollständigkeit halber.

Strategiewechsel …

Zwei Dinge funktionierten 2022 nicht ganz optimal: Nämlich das Nachtfahren wegen einer etwas unzuverlässigen Lichtanlage und das Nächtigen im Schlafsack in der freien Wildbahn. Daher ist für 2024 eine etwas andere Taktik gefragt.

Licht ins Dunkel bringt nun ein neues Vorderrad mit Nabendynamo, dazu ein Vorder- und Rücklicht eines deutschen Qualitätsherstellers, der „in der Szene“ ein hohes Ansehen genießt. Wenn schon, denn schon. Diese neuen „Gadgets“ (wie Sportsfreund Franz T. sagen würde) sind zwar finanziell kein Schnäppchen, jedoch ist die Qualität und Funktion des Ganzen restlos überzeugend.

Die Problematik des Draußenschlafens sollte dieses Mal kein Thema sein, weil Schlafsack und Unterlegmatte zu Hause bleiben. Die unruhigen Schlafphasen und die folglich schlechte Regeneration während der Teilnahme 2022 sind dafür ausschlaggebend. In Folge dessen muss ich meine Herangehensweise für 2024 etwas ändern, denn so bin ich auf Quartiere angewiesen. Zudem will ich vermeiden, dass ich mit leerem Magen meine Nachtruhe antrete und/oder am nächsten Morgen ohne Frühstück weiterfahre. Daher ist der Plan bereits um ca. 20:00 Uhr ein Quartier zu beziehen (ja, da stellt’s wohl so manchen „Ultra-Cycling-Veteranen“ die Haare auf), Abendessen zu gehen und ein Frühstück zu organisieren. Damit das Ganze aber nicht komplett in Urlaub ausartet, sollte der Wecker sehr zeitig in der Früh klingeln.

Soweit ein paar Basics. Die Nächtigungsstrategie ist natürlich die Komfortvariante. Gewinnen wird man damit nicht, aber die Platzierung von 2022 will ich – wenn möglich – schon egalisieren. Und das war ein 29. Gesamtrang.


Tag 1: Etwas anders, als geplant …

Ein durchaus sonniger Tag mit vereinzelten Wolken, ungefähr 20 °C und etwas Wind. So präsentiert sich das Wetter am Start vor dem Schloss Schönbrunn in Wien. 300 Starterinnen und Starter haben sich registriert. Es ist also ein bunter Mix aus Radlerinnen und Radlern in allen denkbaren Outfits. Vor allem aber was die Materialwahl und die Menge des mitgeführten Gepäcks anbelangt, bekommt man Einiges zu sehen.

Auf Grund der Größe des Teilnehmerfeldes erfolgt ein Wellenstart im Abstand von zehn Minuten. Um 10:50 Uhr starte ich und nehme die vorgegebene Strecke bis Mariazell in Angriff.

Sportlich bis nach Mariazell

Die erste Challenge ist die Startstrecke. Weniger die 130 Kilometer und 2.300 Höhenmeter, sondern eher der Umstand, dass ich die Strecke ab St. Corona/Schöpfl sehr gut kenne. Ortskenntnis ist natürlich von Vorteil, es verleitet aber auch dazu, die eher kurzen, teilweise steilen Anstiege rasch zu „erledigen“. Allzu langsam bin ich daher nicht unterwegs und so erreiche ich nach einer Fahrzeit von 5 Stunden und 38 Minuten Mariazell, was übrigens die 20. Zeit für die Startstrecke bedeuten sollte. Ab Mariazell noch über den Seeberg und dann eher gemütlich durch das Murtal rollen – so mein Plan für Tag 1 im Vorfeld. Es sollte aber etwas anders kommen …

Gegenwind-Massaker

In Mariazell kehre ich zur Stärkung erstmals in ein Lebensmittelgeschäft ein. Ein halber Liter Joghurt und ein Apfel sind eigentlich kein Problem. Wenn man dazu allerdings irrtümlich ein kohlesäurehaltiges Mineralwasser kauft, dann ist dies mit den erwähnten Zutaten eine nicht ganz optimale Mischung für den Magen. Die Folgen beschäftigen mich bis auf den Seeberg, wenn da nicht noch was wäre …

Nämlich der Wind. Der kommt ab Mariazell leider von vorne, wird immer lästiger und ist erst in St. Veit an der Glan zu Ende, als ich um 1:30 Uhr die Haustür meiner Unterkunft hinter mir schließe. Dazwischen liegen rund 220 herausfordernde Kilometer. Der körperliche Notbetrieb gipfelt in einem leichten Schüttelfrost nach dem Duschen. Glücklicherweise ist mir vom Mariazeller Lebensmittelgeschäft noch ein kleiner Imbiss übriggeblieben, den ich um ungefähr 2:00 Uhr noch essen kann. Von meinem ursprünglichen Vorhaben, um ca. 5:00 Uhr das Quartier zu verlassen, verabschiede ich mich und stelle den Wecker auf 6:30 Uhr. Na gute Nacht …

Linkes Bild: Wasserstellen – wie hier in der Walster – sind wegen der warmen Temperaturen gerne willkomen. (Ganz rechts im Bild ist übrigens Florian Kraschitzer vom „Sitzfleisch“-Podcast zu sehen.) Rechtes Bild: Bei Zeltweg wird’s erstmals finster.

Anmerkung (mit ein paar Monaten Abstand): Gegenwind hatten natürlich auch alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, damit musste jede und jeder fertig werden. Im Nachhinein betrachtet bin ich die über 200 Gegenwind-Kilometer um ein, zwei Km/h zu schnell gefahren, weil ich das Quartier in St. Veit an der Glan erreichen wollte. Sinnvoller wäre es gewesen, die Nacht in einem gemächlicheren Tempo und ohne dem „ich-will-ins-Quartier-kommen-Stress“ komplett durchzufahren. Oder – wie es auch manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemacht hatten – bereits vor dem Perchauer Sattel abzubrechen und dafür zeitig in der Früh weiterzufahren. Denn der Wind war am zweiten Tag kein ernsthaftes Thema mehr.


Tag 2: Cima Grappa gibt’s nur als Pizza

So wirklich „g’schmeidig“ bin ich nicht unterwegs, als ich um kurz nach 7:00 Uhr in der Nähe von St. Veit an der Glan auf’s Rad steige. Zuvor 200 Kilometer gegen den Wind mit einem gewissen Druck am Pedal und noch dazu in einer einigermaßen aerodynamischen Haltung – da wird man eher zum Grobmotoriker. Zumindest vorerst, denn ab dem Ossiacher See fühlt sich das Ganze wieder nach „Radfahren“ an und es rollt ganz vernünftig. Ein Frühstück in Villach hebt zusätzlich die Stimmung. Gleichzeitig ist mir aber auch klar, dass die ursprünglich für Tag zwei geplante Überfahrt über den Monte Grappa in eher weite Ferne gerückt ist.

Die Highlights dieses Tages sind überschaubar. Die Strecke von St. Veit an der Glan zum Monte Grappa ergibt sich eigentlich von selbst. Überwiegend flaches Gelände; wer hier irgendwo länger bergauf fährt, hat wohl einen Planungsfehler gemacht. Also eine typische „Transfer-Etappe“.

Unterwegs am Alpe-Adria-Radweg

Der schönste Abschnitt von Tag zwei ist sicherlich der Alpe-Adria-Radweg, auf dem ich von Tarvis bis Venzone fahre. Man könnte auch die Bundesstraße durch das Kanaltal wählen, aber der Radweg folgt einer ursprünglichen Bahntrasse und weist somit auch keine Umwege oder gar Steigungen auf. Im Gegenteil, die Brücken, Tunnels und die Ausblicke von dem etwas oberhalb des Talbodens liegenden Radweges sind sehr abwechslungsreich:

Durch die Po-Ebene

Bei Venzone verlasse ich den Alpe-Adria-Radweg und fahre für den restlichen Tag in Richtung Westen bzw. Bassano del Grappa. Allzu weit komme ich aber nicht: Über Spilimbergo verdunkelt sich der Himmel und wenig später muss ich in einer Kapelle Zuflucht suchen. Die 30-minütige Pause hat aber keine religiösen Gründe, sondern ein heftiges Gewitter mit Sturmböen und Starkregen zwingt mich zum Nichtstun.

Der Rest des Tages ist schnell abgehandelt, weil wenig spektakulär. Die insgesamt 150 Kilometer (ab Venzone) durch die eher dicht besiedelte Po-Ebene fährt man per Rad wohl nur, wenn man möglichst schnell von A nach B kommen möchte. Also bei einer normalen mehrtägigen Radreise eigentlich nie, zumindest ich nicht. Beim Three Peaks lassen sich solche Abschnitte leider nicht ganz vermeiden, aber das weiß man ohnehin schon im Vorhinein.

Nach unzähligen Bodenschwellen, Ampeln und etwas genervt vom oftmals schadhaften Asphalt reserviere ich mir während Regenschauer Nummer vier ein Quartier am Fuße des Monte Grappas.

Pieve di Soligo – eines der eher weniger Highlights während der Fahrt durch die Po-Ebene.

Am Abend sitze ich in einer Pizzeria bei einem Teller Nudeln und einer Pizza mit der passenden Bezeichnung „Cima Grappa“, denn da geht’s morgen rauf. Schmeckt alles ausgezeichnet, mein Resümee der ersten zwei Tage ist weniger ausgezeichnet. Den starken ersten Tag (mit einigen taktischen Mängeln was die Fahrweise bei Gegenwind anbelangt) habe ich durch eine sehr bescheidene Leistung am zweiten Tag wieder ausgeglichen. Die „Cima Grappa“ sehe ich nur in Form einer Pizza, den Grappa als Gipfel jedoch nicht, was ursprünglich aber der Plan war.

Zurück im Quartier stelle ich den Wecker auf 4:00 Uhr, denn morgen hat das lasche Rumgegurke ein Ende. Endlich geht’s in die Berge, da wird dann „g’scheit gfoahrn“. So mein Vorsatz.


Tag 3: Endlich Berge!

Nach der gestrigen Pizza folgt die Cima Grappa heute endlich auch in topografischer Form, nämlich als Berg. Genauer gesagt der Monte Grappa, denn so wird der ganze Gebirgsstock bezeichnet, der eben auf der 1.775 Meter hohen Cima Grappa seinen höchsten Punkt erreicht. Wenn man bedenkt, dass der Ausgangspunkt Semonzo del Grappa unter 300 Metern Seehöhe liegt und sich die Länge des Anstieges bis zum Rifugio Bassano auf 16,8 Kilometer summiert, dann ist dieser Anstieg eine ernsthafte Aufgabe.

Monte Grappa – schön und schaurig zugleich

Und so sitze ich um 5:00 Uhr am Rad, spule die letzten paar Kilometer bis zum Beginn des Anstieges ab. Dann geht’s endlich bergauf, motorisierter Verkehr ist um diese Uhrzeit keiner vorhanden, einzig einige Three Peaks-Fahrer überhole ich im Anstieg. Angenehm die Stille, großartig die Ausblicke in die Po-Ebene, deren Weite man nach jeder weiteren Kehre besser überblicken kann. Wie etwa hier …

Besonders ist natürlich auch der geschichtliche Hintergrund am Monte Grappa, denn unweigerlich trifft man hier auf die Spuren des 1. Weltkrieges. Selbst wenn man nur auf einer der verschiedenen Straßen auf den Berg hochfährt, passiert man viele Stolleneingänge sowie Schützengräben. Spätestens am Ende der Asphaltstraße holt einem die Geschichte ein. Hier erblickt man das riesige Kriegerdenkmal „Sacrario Militare del Monte Grappa“, wo 12.615 italienische und 10.295 österreichische Soldaten bestattet wurden.

Die folgenden Bilder vom Kriegerdenkmal „Sacrario Militare del Monte Grappa“ entstanden während einer Radtour im Jahr 2017:

Zurück zum Three Peaks: Den Kontrollpunkt am Rifugio Bassano erreiche ich um 7:18 Uhr, ziehe mir etwas Warmes an und starte sodann gleich in die lange Abfahrt nach Caupo. Damit ist die verpflichtend zu fahrende Strecke um den Checkpoint eins aber nicht zu Ende. Weiter geht’s nämlich über den Passo Forcella (917 m) ins Valsugana und über den 2.042 Meter hohen Passo Manghen ins Fleimstal. Insgesamt macht das 129 Kilometer und 4.500 Höhenmeter. Erst im Fleimstal ist wieder freie Streckenwahl zum nächsten Kontrollpunkt am Grimselpass.

In flotter Fahrt über den Manghen

Nächstes Highlight des Tages ist der Passo Manghen, der vor allem vom südlichen Fleimstal aus lange 23,5 Kilometer und einen Höhenunterschied von 1.630 Metern aufweist. Speziell im unteren Teil, wo die Straße durch die Weinanbaugebiete von Borgo Valsugana führt, brennt die Sonne gnadenlos vom Himmel. Mit der Sonne und der Hitze ist’s aber nach einigen Kilometern vorbei, denn die Berge sind wolkenverhangen und teilweise schaut’s sogar nach etwas Regen aus, der aber dann doch ausbleibt. Jedenfalls komme ich mit jedem Kilometer besser ins Fahren und passiere bis zur Passhöhe einige Three Peaks-Teilnehmer.

Ein Bild des Three Peaks-Fotografen Jacob Kopecky, der mich kurz vor der Passhöhe des Manghen „erwischt“ hat.

Der Etsch entlang

Der Rest des Tages verbringe ich am Etsch-Radweg, der vorbildlich ausgebaut ist. Zuerst geht’s Richtung Bozen, dann nach Meran und durch den Vinschgau nach Glurns, wo ich mir während eines Verpflegungsstopps in Meran ein Quartier gebucht habe.

Das Abendessen in Glurns fällt mengenmäßig etwas dürftig aus. Daher wechsle ich in ein Café, wo es als Zugabe sehr guten Apfelstrudel gibt und im Zimmer bediene ich mich noch vom Frühstück, das ich wegen meiner frühen Abreise schon bekommen habe. Das war nämlich sehr großzügig, weshalb ich schon überlegt hatte, wie bzw. wo ich das alles einpacken sollte.

Preiswertes Frühstück für sechs Euro: Sechs der acht Schinkensemmeln. Zwei habe ich noch am Abend gegessen, zwei am nächsten Morgen und die restlichen vier packe ich mir ein. Hoffentlich geht sich das irgendwie aus.


Tag 4: Schweizer Bilderbuchlandschaft

Auf diesen Abschnitt habe ich mich schon beim Planen der Strecke gefreut: Es geht durch die Schweiz und ein Pass folgt dem nächsten. Zudem verspricht der Wetterbericht sonnige Bedingungen und am Vorabend war mein Ziel bis zum Grimselpass zu kommen und somit den Checkpoint 2 abzuhaken. Distanzmäßig schaut das bei einem Blick auf die Landkarte lösbar aus. Wenn man jedoch genauer hinsieht, dann merkt man aber auch, dass dazwischen noch vier andere Hochgebirgspässe liegen, die alle über 2.000 Meter führen.

Bergwertung 1: Ofenpass

Los geht’s um 4:38 Uhr in Glurns. Ein paar Kilometer später passiere ich bereits die Grenze zum Schweizer Kanton Graubünden und fahre stets ansteigend durch das dunkle Münstertal in Richtung Ofenpass. Und endlich eine Gegend bei diesem Three Peaks, wo ich noch nie war, was die Sache natürlich noch interessanter macht.

Die ersten wärmenden Sonnenstrahlen nehme ich wohlwollend knapp unterhalb der 2.149 Meter hohen Passhöhe wahr. Es folgt eine lange, schattige und ziemlich kühle Abfahrt mit einigen Gegensteigungen ins Engadin.

Bergwertung 2: Albulapass

Auch am Talboden des Engadins ist es am frühen Morgen noch schattig und somit sehr frisch. Zumindest führt die Straße ab nun taleinwärts und steigt kontinuierlich an. Einigermaßen verwundet bin ich über den Linzer Teilnehmer Christoph P., der mich wenige Meter nach der Abfahrt in „kurz-kurz“ fahrend einholt, als ich gerade meine kalten Finger vorsichtig zu bewegen versuche.

Als ich etliche Kilometer und Höhenmeter später in La Punt ankomme, wo die Passstraße auf den Albula abzweigt, treffe ich Christoph wieder, als er gerade vor einer kleinen Bäckerei Kaffee und Kuchen verspeist. Die Frühstücksmöglichkeit nehme ich auch gerne an und ein paar Minuten später trifft auch die Deutsche Katharina E. ein, die sich ebenfalls hier verpflegt. Man fährt meistens stundenlang oder über hundert Kilometer und mehr alleine durch die Gegend, irgendwann erblickt man ein kleines Lebensmittelgeschäft oder – wie hier – eine Bäckerei und oftmals stehen dann auch Räder mit Packtaschen davor. Dann weiß man schon aus einiger Entfernung, dass man hier zumindest nicht vor verschlossenen Türen stehen wird. Und so ab dem dritten Tag sieht man dann immer wieder die gleichen drei, vier Teilnehmerinnen und Teilnehmer, da diese ein ähnliches Tagespensum absolvieren.

Zurück zum 2.315 Meter hohen Albulapass, der landschaftlich sicherlich zu den schönsten Straßenübergängen der Alpen zu zählen ist. Kurz vor der Passhöhe führt die Straße über eine Hochebene, wo sich links und rechts der Straße Bergseen ausbreiten.

Beeindruckend ist während der Abfahrt nach Bergün auch die Trassenführung der Albulabahn. Die Schmalspurbahn führt hier über etliche Viadukte und u. a. durch drei sogenannte Spiraltunneln und zwei Kehrtunneln. Dadurch ist es teilweise sogar etwas schwierig, den Verlauf der Bahntrasse nachzuverfolgen.

Oberhalb der Rheinschlucht

Die Abfahrt vom Albulapass ist bis Bergün auf 1.360 Metern Höhe herrlich, weiter bis Tiefencastel auf 860 Metern Höhe auch noch problemlos zu fahren. Dann wird’s bis Thusis (720 m) jedoch mühsam und als Radfahrer teilweise fast etwas gefährlich. Viel Verkehr, viele Tunnel und Baustellen machen diese 15 Kilometer sehr mühsam. Erst im nachfolgenden Bonaduz, das auf nur mehr 662 Metern Höhe liegt, verlasse ich die Hauptstraße und fahre Richtung Oberalppass.

Bis ich dorthin komme, dauert es aber noch. Es folgt nämlich eine kurvenreiche Bergstraße weit oberhalb der Rheinschlucht, gefolgt von einem Anstieg nach Versam (909 m). Zwar nur ein paar hundert Höhenmeter, hier gibt’s aber keinen Schatten und die Hitze ist enorm. Dieser kleine „Schupfer“ im Höhenprofil meines Garmins stellt sich in der Praxis als sehr herausfordernd dar. Landschaftlich ist’s natürlich auch hier ganz nett:

Von Ilanz (702 m) folgen noch rund 30 Kilometer bis zum eigentlichen Anstieg auf den Oberalppass, die wegen der Hitze und dem Gegenwind relativ mühsam sind.

Nummer 3: Oberalppass

Irgendwann erreiche ich endlich Disentis auf 1.130 Metern Höhe, von wo der eigentliche Anstieg auf den 2.046 Meter hohen Oberalppass beginnt. Die Straße ist zunächst noch relativ breit und eher kurvenarm, die Berglandschaft dafür grandios. Speziell im zweiten Teil mit vielen Kehren ist der Oberalppass wunderbar. Und man glaubt es wieder nicht: Auf den letzten paar Kilometern vor der Passhöhe fahre ich neben Eisenbahnschienen und wenig später überholt mich der Glacier Express. Unglaublich, wo die Schweizer überall Eisenbahnstrecken erbaut haben.

Die Passhöhe selbst? Herrlich. Eigentlich sollte man hier eine Pause machen und die Landschaft bewundern. So viel Zeit will ich mir dann doch nicht nehmen. Einige Fotos gibt’s natürlich schon, denn auf der Flucht bin ich auch nicht …

Während der Abfahrt nach Andermatt (oben) sowie am Weg durch Andermatt (unten).

Bergwertung 4: Furkapass

Nach Andermatt auf 1.447 Metern Höhe bzw. im benachbarten Hospental beginnt der nächste Anstieg. Nämlich auf den 2.436 Meter hohen Furkapass.

Nachdem es bereits später Nachmittag ist und ich vom übernächsten Grimselpass noch bei (hoffentlich) Tageslicht abfahren will, schlage ich von Anfang an ein „sportliches Tempo“ an. So sollte etwas später Christoph P. mein Bergauf-Tempo bezeichnen, als ich ihn knapp unterhalb der Passhöhe überhole. Christoph treffe ich hier bereits das dritte Mal an diesem Tag, später fahren wir noch den Grimselpass hoch. Die Tage davor hatten wir uns nie getroffen und nach dem Grimselpass sollten wir uns erst zehn Tage später wieder sehen. Nämlich zufällig bei der Bergankunft der 19. Tour de France-Etappe in Isola2000. Das nur so am Rande.

Der Oberalppass war „herrlich“, der Furkapass ist „grandios“. Diese Ecke der Schweiz mit ihren zahlreichen Passstraßen in einer gewaltigen Berglandschaft ist zum Radfahren einfach sensationell.

Das obige Bild zeigt den Straßenverlauf der Abfahrt vom Furkapass. In der Bildmitte erkennt man bereits die Kehren des Grimselpasses.

Und dann gibt es an der Furkapassstraße noch ein sehr bekanntes Motiv: Das (mittlerweile geschlossene) Hotel Belvédère. Glücklicherweise „lauert“ hier gerade einer der offiziellen Fotografen des Three Peaks auf so manchen Teilnehmer. Die Chance nutze ich und durchfahre einige Male die Kehre vor dem Belvédère.

Fotoshooting vor dem Hotel Belvedere. Foto: adventurebikeracing.com.

Kurz vor der Abzweigung auf den Grimselpass gibt es noch folgenden großartigen Blick zurück auf die Passstraße des Furka und dem Hotel Belvédère (Bildmitte). Die kahlen Felsformationen im linken Bereich des Bildes wurden nach dem Rückzug des Rhonegletschers freigelegt.

Bergwertung 5: Grimselpass

Bei Gletsch auf 1.759 Metern Höhe geht’s direkt in den Anstieg auf den 2.165 Meter hohen Grimselpass. Mit einem wieder sehr „sportlichen Tempo“, wie es Christoph kommentieren würde, absolviere ich die paar hundert Höhenmeter zu Passhöhe. Die „gewonnene“ Zeit brauche ich dann ohnehin auf der Passhöhe. Der Anblick der im Totensee treibenden Eisschollen in Verbindung mit der tiefstehenden Abendsonne ist fantastisch. Für diese Szenerie, die fast an die Arktis erinnert, investiere ich gerne ein, zwei Minuten. Somit gibt’s auch folgendes Foto:

Danach starte ich in die lange Abfahrt ins Tal nach Innertkirchen (625 m), das ich mit Einbruch der Dämmerung auch erreiche. Um (für Schweizer Verhältnisse) sehr günstige 53 Franken bekommen ich in einem Dorfwirtshaus ein kleines Zimmer. Bei einer Gemüsepfanne mit Gnocchi und einem Teller Nudeln schaue ich mir in der Gaststube mit ein paar einheimischen Experten, deren Dialekt ich zum Glück nur halb verstehe, eine Halbzeit des Fußball-EM-Halbfinales an. Ich werde wohl der einzige Three Peaks-Teilnehmer sein, der „so nebenbei“ auch noch Zeit für die Fußball-EM hatte.


Tag 5: Viel Wetter

Die nette Besitzerin des Dorfwirtshauses hat mir bereits am Vorabend vom Lichtschalter bis zur Bedienung des Kaffeeautomaten alles gezeigt, damit ich nicht ohne Frühstück am frühen Morgen starten muss. Danke – und so sitze ich um 4:30 Uhr bei einem „richtigen“ Frühstück.

Um 4:54 Uhr sitze ich am Rad mit Fahrtrichtung Norden, denn der nächste Kontrollpunkt ist in den Vogesen in Frankreich. Vorerst noch auf trockenen Straßen, denn das Wetter sollte an diesem Tag noch sehr abwechslungsreich werden. Am Vierwaldstättersee ist die Straße dann erstmals nass, einige Kilometer später scheint vor Luzern wieder die Sonne.

Spektakulär ist nur das Wetter

Möglichst viele Kilometer abspulen ist die Devise der heutigen Etappe. Von Innertkirchen über Luzern, Basel, Mulhouse an den Fuß der Vogesen sind es ungefähr 230 Kilometer, die zu „erledigen“ sind. Das Wahrzeichen von Luzern, die Kapellbrücke, lass ich dieses Mal links liegen, denn die habe ich eh schon beim Three Peaks 2022 bewundert. Nach dem Sempachersee fängt es dann bis kurz vor Basel stark zu regnen an, der Himmel ist grau in grau. Ein paar wenige Bilder gibt es:

Regen am Weg nach Basel: Links Aarburg und rechts Liestal.

Zu allem Überdruss komme ich ca. 30 Kilometer vor Basel in irgendeiner größeren Ortschaft vom Track ab und bemerke das erst ein paar hundert Meter später. Einfach umdrehen und die paar Meter wieder retour fahren? Nein, denn ich bin der Meinung, eine Abkürzung auf der Garmin-Karte entdeckt zu haben, über die ich wieder auf meinen Track zurückkommen sollte. Das funktioniert normalerweise schon, hier aber nicht. Der vermeintliche Radweg, ohnehin bald auf Schotter, mündet in einen Wanderweg. Und natürlich drehe ich hier auch nicht mehr um. „Da muss ich doch gleich oben sein“, denke ich mir. Daher Überschuhe ausziehen und Rad schieben. Als Laufstrecke wäre der Wanderweg sehr schön, aber das Rad im Regen durch’s Gebüsch zu schieben, ist nur ärgerlich.

Die ganze Aktion dauert so 15 Minuten, erst dann erreiche ich in einer Siedlung irgendwo wieder Asphalt. Zumindest sitze ich wieder am Rad, bis ich zurück am Track bin, fahre ich noch einen geschätzten Kilometer. Eine völlig sinnbefreite Aktion.

Nach rund 80 Kilometern im Regen ist dieser kurz vor Basel zu Ende. Es scheint sogar die Sonne vom Himmel, als hätte es an diesem Tag kein Regenwetter gegeben. Basel ist eine sehenswerte Stadt, davon konnte ich mich bereits 2023 während einer Radreise überzeugen. Daher gibt’s heuer nur ein einziges Bild von einer der Rhein-Brücken:

Wie lange kann ein Gerade sein?

Jedenfalls sehr lange, konkret 15,1 Kilometer. Denn nach Basel und somit bereits im Territorium der Grande Nation Frankreich liegt der Hardtwald und dieser wird von einigen Straßen schachbrettartig durchzogen. Über 15 Kilometer bietet sich mir folgender Ausblick.

Am Weg in die Vogesen

Vor dem Grand Ballon in den Vogesen folgen jedoch noch ca. 30 Kilometer, die radfahrmäßig wenig aufregend sind. Einerseits gibt es hier viele Industriebetriebe, wie ein großes Werk von Peugeot, andererseits haben die nach Mühlhausen folgenden Ortschaften wie Pulversheim oder Bollwiller einen herben Charme. Hier wurden bis vor einigen Jahrzenten die tief unter der Erde liegenden Kali(salz-)vorkommen abgebaut. Riesige Bohrtürme und verfallene Arbeiterunterkünfte sind davon noch sichtbar, die Orte sind aber wie ausgestorben. Ein Lebensmittelgeschäft suche ich längere Zeit vergebens, erst in der letzten Ortschaft vor dem Anstieg auf den Grand Ballon finde ich einen Supermarkt.

Zum Kontrollpunkt 3 auf den Grand Ballon

Dann erreiche ich endlich den Fuß der Vogesen bzw. des 1.424 Meter hohen Grand Ballons – oder auch Großer Belchen, wie dieser auf Deutsch genannt wird. Insgesamt sind von Soultz-Haut-Rhin knapp 19 Kilometer Anstieg und 1.100 Höhenmeter zu bewältigen. Nach dem etwas langweiligen Vorprogramm bin ich natürlich froh, dass es endlich wieder bergauf geht und schlage von Anfang an ein zügiges Tempo an.

Die kahle Gipfelregion des Grand Ballons ist ein beliebtes Ausflugsziel und die Aussicht von oben ist angeblich sehr schön. Das kann ich aber nicht bestätigen, da erstens das Wetter bedeckt bis regnerisch ist und zweitens die Straße auf ca. 1.340 Metern ihren höchsten Punkt erreicht – und bis dorthin habe ich fast nur Wald gesehen. Erst bei der Passhöhe gibt es einige, eher bescheidene Ausblicke:

Nachdem kurz vor dem höchsten Punkt etwas Regen eingesetzt hatte, starte ich unverzüglich in die Abfahrt. Wobei die Straße vorerst noch über einige Höhenrücken entlang führt. Der Regen hört hier wieder auf, aber die allgemeine Wetterlage verspricht nichts allzu Gutes. Es folgen 17 Kilometer Abfahrt auf extrem rauen Asphalt nach Kruth, wo der Himmel endgültig seine Schleusen öffnet.

Nach rund 20 Minuten hat sich das Wetter wieder beruhigt und ich fahre auf den Col d’Oderen. Danach folgt der Col du Page, denn in den Vogesen ist neben dem Kontrollpunkt am Grand Ballon noch eine 88 Kilometer lange Pflichtstrecke zu absolvieren.

Viel Wald in den Vogesen: Links am Col d’Oderen und rechts am Col du Page.

Außer dichten Wald, nasse und wellige Straßen gibt es von diesen zwei Anstiegen nichts zu berichten. Wie am obigen Bild vom Col du Page zu sehen ist, treffe ich auf einige weitere Three Peaks-Teilnehmer. Unter anderem auch auf Stefan W., einen gebürtigen Scheibbser, den ich bereits beim Three Peaks 2022 kennen lernte. Nachdem es in der Abfahrt ohnehin schon etwas dämmert, beenden wir den Tag in Saint-Maurice-sur-Moselle und teilen uns hier ein Doppelbettzimmer.


Tag 6: Nebelige Vogesen und sonniges Jura

„Oui, je vous prépare un petit déjeuner. Naturellement.“

Von meinem Zimmerkollegen Stefan weiß ich, dass er stets sehr früh am Morgen startet. Wobei „Nacht“ der passendere Ausdruck ist. So auch dieses Mal. Bereits am Vorabend beim Abendessen hat er seinen Wecker mit der eigentlich obsoleten Frage „Drei Uhr passt eh?“ gestellt. Wurde auch einstimmig angenommen, also in Wirklichkeit nur von ihm. Von mir kam dazu nur ein kurzes „Ist OK, ich werde dann noch eine Stunde weiterschlafen.“.

Mitten in der Nacht um drei Uhr läutet also der Handywecker. Stefan packt zusammen während ich mir zehn Minuten lang im Bett liegend überlege, ob ich nicht doch auch aufstehen sollte. Und damit habe ich mir bereits selbst die Antwort gegeben. Ich stehe also auch auf, ziehe mir schnell mein Zivilgewand an und folge in den Frühstücksraum. Denn, man mag es ja fast nicht glauben: Unser Vermieter hatte uns gestern am Abend allen Ernstes angekündigt, dass er für Stefan um 3:30 Uhr ein Frühstück zubereiten wird. Zudem hat er noch zwei weitere Three Peaks-Fahrer zu Gast, die um 4:30 Uhr zum Frühstück erscheinen. Denen wollte ich mich auch ursprünglich anschließen, nun nehme ich eben „Frühstückstermin 1“ in Anspruch.

Diese Geschichte wäre ja grundsätzlich nicht weiter erwähnenswert. Aber wenn ein Zimmervermieter tatsächlich um 3:30 Uhr und um 4:30 Uhr für seine Gäste ein Frühstück serviert, dann darf (oder sollte) man dies auch lobend erwähnen. Übrigens: „Domaine de la Moselle“ heißt die Unterkunft und wir haben keine 200 Euro oder mehr bezahlt, die diesen Extraservice irgendwie rechtfertigen würden. Wir haben nur 93 Euro bezahlt. Zu Zweit.

Und damit erklärt sich auch die obige, in Französisch gehaltene Überschrift. Das waren nämlich u. a. die Worte unseres Vermieters am Vorabend. Zu Deutsch: „Ja, ich mache Ihnen ein Frühstück. Selbstverständlich.“

Wald, Nebel und wellige Straßen

Nach dem Frühstück fährt Stefan los, während ich nochmals kurz auf Zimmer gehe. Um 4:28 Uhr sitze ich auch am Rad und erledige noch den Rest der Pflichtstrecke. Diese führt mich auf den 1.158 Meter hohen Ballon de Servanche. 13,5 Kilometer Anstieg mit knapp 700 Höhenmetern. Zunächst ist es noch finster, aber auch als die Morgendämmerung einsetzt, sehe ich außer Wald und Nebel nichts. Während des Bergauffahrens überlege ich, ob es bei uns im Niederösterreichischen Alpenvorland eine ähnlich langweilige Bergstraße gibt. Mir fällt keine ein. Irgendwann bleibe ich dann stehen und mache aus „Dokumentationsgründen“ ein Foto:

„Bemerkenswert“ ist auch die anschließende Abfahrt auf (wieder) schmaler Straße, denn diese ist sehr wellig. Maximal rund 50 Km/h sind mit einem für mich noch einigermaßen vertretbaren Risiko fahrbar. Wobei die 50 Km/h eine Schätzung sind, denn ich muss mich auf die Straße konzentrieren, statt auf den Garmin zu blicken. Wäre ich hier mit meinem vollgefederten Mountainbike unterwegs – der Hinterraddämpfer hätte Einiges zu tun.

Die „Super“-Variante der Planche des Belles Filles

Der letzte Abschnitt der Pflichtstrecke in den Vogesen ist der Anstieg auf die Planche des Belles Filles (1.015 m) und von hier auf den 1.148 Meter hohen Gipfel. Die Straße ist hier zweispurig ausgebaut und endet nach sieben Kilometern Anstieg und 605 Höhenmetern grundsätzlich auf 1.015 Meter bei der Talstation der Skilifte.

In den vergangenen Jahren ist es bekanntlich modern geworden, dass man Straßenradprofis auch immer öfters über Schotterabschnitte schickt, um zusätzliches Spektakel zu generieren. Und deshalb gibt es auch hier eine Zugabe, nämlich die sogenannte „Super Planche des Belles Filles“, die bei einer Bergstation eines Skiliftes auf 1.148 Metern endet. Dieses „Super“-Finale beginnt mit einem über 20-prozentigen Asphaltanstieg entlang einer Skipiste. Es folgen ein paar etwas flachere hundert Meter auf Schotter und zum Schluss nochmals ein sehr steiler Abschnitt auf Asphalt. Mehr kann ich dazu nicht berichten, denn wie auf den folgenden Bildern zu sehen ist, ist nicht viel zu sehen.

Am Gipfel der (Super) Planche des Belles Filles endet auch die Pflichtstrecke entlang des dritten Kontrollpunktes. Der nächste place-to-be ist nun Alpe d’Huez, denn hier beginnt der sogenannte Finisher-Parcour nach Nizza.

Durch’s Jura

Den Vormittag verbringe ich im französischen Naturpark Doubs, den ich auf meinem Weg in die nächstgrößere Stadt Pontarlier durchquere. Eine ganz nette Landschaft, sehr schön ist u. a. ein Radweg entlang der Doubs, auf der viele Hausboote unterwegs sind.

Ab Pontarlier folgt die für das Jura typische Landschaft: Ein bewaldetes Mittelgebirge, das eher dünn besiedelt ist und in dem vorwiegend die Landwirtschaft dominiert. Somit gibt es – im Gegensatz zu den vorher durchquerten Vogesen – auch viele freie Wiesenflächen, was das Landschaftsbild „offener“ macht. Teilweise sieht es aus wie im Waldviertel. Statt Teiche gibt’s hier einige Seen. 2023 war ich während einer „normalen“ Radreise übrigens auch im Jura unterwegs – ich habe damals nicht geglaubt, dass ich so bald schon wieder in dieser Ecke unterwegs sein sollte.

Unterwegs im Jura (oben) und in der Stadt Pontarlier (unten).

Kurz vor meinem Tagesziel Bellegarde-sur-Valserine zwingt mich ein kurzes Gewitter mit Starkregen zu einer 20-minütigen Pause. Dann fahre ich in „meine“ Unterkunft, wo ich auch schon 2023 genächtigt hatte. Eine Stunde später zieht das nächste Gewitter über’s Land. Zu diesem Zeitpunkt sitze ich bereits in einer Pizzeria – auch hier war ich bereits 2023. Den Teller Nudeln kann ich noch unter normalen Bedingungen essen, die Pizza gibt’s bei Kerzenlicht, denn in der Kleinstadt Bellegarde fällt wegen des Gewitters für rund 30 Minuten der Strom aus.


Tag 7: Viel Wetter am Weg ins Gebirge

Um 4:00 Uhr läutet mein Wecker, gefolgt von Donnergrollen. Und die Geräuschkulisse ist eindeutig: es regnet. Laut Regenradar soll’s ab 6:00 Uhr mit Gewitter und Regen vorbei sein, daher stelle ich den Wecker auf 5:15 Uhr und sitze um 6:00 Uhr am Rad.

All-inclusive-Wetter

Die rund 180 Kilometer von Bellegarde-sur-Valserine über Aix-les-Bains, Chambéry, Grenoble nach Le Bourg-d’Oisans sind mäßig spektakulär – das Wetter aber umso mehr. Von bedeckt bis (selten) Sonne und dem ein oder anderen heftigen Regenschauer gibt’s an diesem Tag mehr als genug Abwechslung. Das Regengewand bekommt einiges an Einsatzzeit. Die folgenden zwei Bilder geben die Wetterverhältnisse während der 180 Kilometer bis Le Bourg-d’Oisans ganz gut wider:

Alpe d’Huez – kann man fahren, muss man aber nicht

Um es gleich vorweg zu nehmen: So wirklich begeistern kann mich der angeblich „legendäre“ Anstieg mit seinen zahlreichen Kehren nach Alpe d’Huez (1.860 m) nicht. Die Kehren bringen etwas Abwechslung, aber letztendlich ist es eine breit ausgebaute Zufahrtsstraße in einen nur sehr bedingt sehenswerten Skiort. Hinzu kommt das bescheidene Wetter, immer wieder tröpfelt es und am letzten Kilometer vor Alpe d’Huez beginnt es sehr „zügig“ zu regnen.

Blick zurück: Nach den ersten Kilometern des Anstieges geht ein Wolkenbruch über Le Bourg d’Oisans nieder.

Den Regenschauer nutze ich für eine Stärkung in einem Lebensmittelgeschäft. Kalt ist mir erstmals vor der Kühlvitrine des Geschäftes und dann auch im Freien. Es fallen zwar nur mehr ein paar Regentropfen vom Himmel, aber der Wind ist äußerst unangenehm und der nächste Wolkenbruch nur eine Frage der Zeit.

Als ich dann das relativ weitläufige Alpe d’Huez auf 1.860 Metern Höhe in Richtung Col de Sarenne (1.999 m) verlassen will, stoppt mich der nächste Schauer – dieses Mal ist auch Hagel dabei. Mein Glück: Ich befinde mich gerade am Ortsende beim letzten Holzchalet und kann mich unter dem Balkon des leerstehenden Ferienhauses unterstellen. Ungefähr 15 Minuten später ist der Spuk vorbei und ich radle einigermaßen flott auf den Col de Sarenne, um möglichst ohne weiteren Schauer hinüber zu kommen. Das sollte übrigens auch gelingen.

Tiefhängende Wolken am Col de Sarenne. Glücklicherweise war nur die Straße nass.

Vorzeitiges Ende in La Grave

Nach der rund 1.000 Höhenmeter langen Abfahrt vom Col de Sarenne erreiche ich wieder die Hauptstraße, die von le Bourg-d’Oisans auf den Col du Lautaret führt. Mein Tagesziel war ursprünglich Briançon, als ich jedoch auf den 2.000 Meter hohen Lautaret fahre, wird das Wetter immer schlechter. Ein Blick auf das Regenradar bestätigt, was der graue Himmel ohnehin ankündigt: Nämlich heftigen Regen. Daher beschließe ich um ca. 19:30 Uhr die Etappe etwas früher als geplant in La Grave auf 1.500 Metern Höhe zu beenden. Die folgenden zwei Bilder sprechen für sich:

Die Wettersituation ist bei meiner Ankunft in La Grave eindeutig. Als ich um 20:30 Uhr in einer Pizzeria sitze, prasselt der Regen gegen das Panoramafenster.

Die Entscheidung, die Etappe etwas früher zu beenden, war also richtig. Gleichzeitig weiß ich aber, dass sich durch das vorzeitige Ende der morgige Radtag zusätzlich verlängern wird. Ein Blick auf meine Tourenplanungs-App gibt mir für die restliche Strecke knapp 8.000 Höhenmeter und 360 Kilometer aus. Sofern ich mit dieser Etappe das Ziel in Nizza erreichen will. Und ja, natürlich „will“ ich, denn 100 Kilometer vor Nizza werde ich sicherlich kein Quartier mehr beziehen. Der Plan für morgen ist also klar.


Tag 8: Das Beste kommt zum Schluss

Col Nr. 1 – Handschuhlos über den Col du Lautaret

4:21 Uhr in La Grave: Es ist einigermaßen kühl und die vorherrschende Stille wird nur durch ein metallisches Klick, Klick durchbrochen. Das gefühlt laute Einklicken in die Pedale erschreckt mich fast selbst etwas. Mein Dynamolicht erhellt die Straße mehr, als es die Straßenlaternen vermögen. Eine beinahe gespenstige Szenerie. Ab La Grave folge ich überhaupt nur mehr meinem Lichtkegel bzw. dem Track am Garmin.

Bis zum Col du Lautaret auf 2.058 Metern Höhe überholt mich ein einziges Auto und ich selbst nähere mich einem zunächst schwachen, dann immer stärker werdenden roten Licht. Das kann wohl nur ein anderer Three Peaks-Teilnehmer sein, denn wer sonst fährt so früh auf knapp 2.000 Metern Höhe durch die Gegend? Nachdem ich doch ein paar Km/h schneller als der „Kollege“ fahre, bleibt es bei einem kurzen „guten Morgen“.

Kurz vor der Passhöhe des Lautaret denke ich mir „gut, dass ich lange Handschuhe dabei habe“. Bei 8 °C, die mein Garmin anzeigt und in Anbetracht der mit 20 Km langen Abfahrt nach Briançon, ist das ein klarer Fall für warme Handschuhe. Die habe ich mir natürlich vor dem Start stets griffbereit in die Rahmentasche gelegt – und plötzlich fällt mir ein: „Ah, die hab ich am zweiten Tag wegen Platzmangel ganz ‚unten‘ in die Satteltasche gelegt!“

Daher bleiben mit dem Erreichen der Passhöhe die Handschuhe in der Satteltasche. In der Finsternis nach den Handschuhen zu suchen und dann vielleicht irgendwas liegen zu lassen? Sicher nicht. Ich starte also handschuhlos in die lange Abfahrt und irgendwie geht es sich fast aus. Erst auf den letzten Kilometern vor Briançon wird’s so richtig kalt. Heißt in der Praxis: Es fällt mir schwer, das Rad mir den zitternden Händen irgendwie ruhig zu halten. Und dann ist endlich Briançon erreicht, was aber nicht heißt, dass mir damit schlagartig wärmer ist.

Col Nr. 2 – Col d’Izoard

In Briançon geht es direkt in den Anstieg mit 1.200 Höhenmetern auf den Col d’Izoard (2.360 m). Die ersten 600 Höhenmeter brauche ich, um wieder einigermaßen auf Betriebstemperatur zu kommen, die zweiten 600 Höhenmeter um eine gewisse Wohlfühltemperatur zu halten, denn die Nordseite der Passstraße auf den Izoard liegt um diese Uhrzeit fast ausschließlich im Schatten.

Abgesehen davon finde ich einen guten Rhythmus und der Straßenverlauf ist mir ganz gut bekannt. Andere Verkehrsteilnehmer sind um 7:30 Uhr noch rar, somit ist das Pflichtprogramm eher unspektakulär mit dem Erreichen der Passhöhe absolviert.

Das Highlight am Col d’Izoard ist natürlich die Fahrt durch die auf der Südseite des Passes befindliche Geröllwüste der Casse Déserte:

Col Nr. 3 – Col de Vars

Die Straße über den 2.109 Meter hohen Col de Vars kenne ich relativ gut, da ich sie mindestens vier, vielleicht sogar schon fünf Mal gefahren bin. Deshalb fahre ich trotz einem nicht unerheblichen Hungergefühl in den Anstieg, weil ich weiß, dass auf der Nordseite des Anstieges zumindest zwei Ortschaften liegen. Eine Bäckerei in Sainte-Marie ist daher nach ziemlich genau 100 Kilometern und 2.500 Höhenmetern ein erster willkommener Zwischenstopp.

Landschaftlich interessant wird’s an der Nordseite des Col de Vars eigentlich erst ab dem Skiort Vars. Den folgenden kleinen Bergsee habe ich noch bei jeder meiner Befahrungen fotografiert und auch während eines Three Peaks behalte ich diese Tradition aufrecht.

Rund um die Passhöhe ist dann auch die umliegende Bergwelt großartig anzusehen. Was für die Lacke davor galt, gilt auch hier: Ich mache wieder ein paar Bilder, weil’s einfach herrlich ist.

Col Nr. 4 – Cime de la Bonette

Eine der schönsten Bergstraßen der Alpen steht nun bevor. Nämlich die 2.802 Meter hohe Cime de la Bonnette im Nationalpark Mercantour.

Ortskenntnisse zahlen sich auch hier aus: Da es während des Anstieges mit 1.600 Höhenmetern praktisch keine Verpflegungsmöglichkeit gibt, fahre ich noch einen kurzen Umweg nach Jausiers, um in einem Lebensmittelgeschäft meine Vorräte aufzufüllen.

Zurück an der Abzweigung auf den Bonnette starte ich die Bergfahrt mit dem eigentlich sinnbefreiten Vorhaben, die vorangegangene Pausenzeit wieder „hereinzufahren“. Mein Tempo auf den ersten paar hundert Höhenmetern ist fast etwas respektlos, wenn man sich auf einem derartig langen Anstieg befindet. Irgendwann kehrt so etwas wie Vernunft ein, ich schalte ein, zwei Gänge zurück und fahre wieder ein normales Bergauf-Tempo.

Das Besondere am Bonette ist ganz einfach, dass man viele Kilometer durch eine herrliche Hochgebirgslandschaft fährt. Einerseits ergibt sich das auf Grund der 2.802 Metern Höhe und andererseits befindet sich hier kein Skiort samt Liftanlagen. Es gibt einfach nur viel Gegend, wie auch auf den folgenden Bildern zu sehen ist:

Neben der großartigen Landschaft gibt es hier noch ein Novum: Die wahrscheinlich höchstgelegene Einbahnstraße der Alpen. Denn am eigentlichen Passübergang, dem Col de la Bonette auf 2.715 Metern, beginnt eine Ringstraße, die eben nur in einer Richtung zu befahren ist und auf der Cime de la Bonette mit 2.802 Metern ihren höchsten Punkt erreicht. Klarerweise ist diese Extraschleife beim Three Peaks auch zu befahren. Zum Glück, denn diese Ehrenrunde ist natürlich Pflicht – man ist ja nicht jeden Tag hier.

Blick auf die „Extraschleife“ auf die Cime de la Bonette (oben) und von genau dieser in die Tiefe (unten). Hier sollte man besser nicht von der Straße abkommen.

Folgende Bilder sind von der Abfahrt:

Im kleinen Ort Isola, das auf einer Höhe von knapp 700 Metern liegt, suche ich nochmals ein Lebensmittelgeschäft auf, bevor diese für den heutigen Tag schließen. Eigentlich sind es von hier nur mehr knapp 70 Kilometer bis Nizza, jedoch folgt die Three Peaks-Strecke der berühmten Route des Grandes Alpes. Also nicht weiter bergab bis ans Meer, sondern es warten noch ein paar Höhenmeter.

Col Nr. 5 – Col Saint-Martin

Nach weiteren Kilometern talauswärts zweigt auf einer Höhe von etwa 500 Metern die Route de la Vésubie ab. Diese führt unter anderem auf den 1.500 Meter hohen Col Saint-Martin. Die Hitze ist zunächst enorm, nach einigen Minuten bin ich aber wieder im Bergauf-Modus angekommen und fahre ein solides Tempo.

Im Navigationsmodus zeigt mir mein Garmin auch die verbleibenden Kilometer, Höhenmeter und die voraussichtliche Restfahrzeit an. Irgendwann erscheint ein „Rest“ von 130 Kilometern und 3.000 Höhenmetern. In heimischen Gefilden wäre das eine anspruchsvolle Fünf-Stunden-Plus-Runde, die ich mit einigem Respekt in Angriff nehmen würde. Aber hier bin ich ohne Zweifel: Ich komme ins Ziel und lange werde ich mich mit dem „Rest“ nicht aufhalten. Nochmals irgendwo stehenbleiben? Ja, aber erst im Ziel in Nizza. Körperlich habe ich, wie auch den ganzen Tag schon, keinerlei Probleme und mit der Euphorie, das Ganze heute noch zu Ende zu bringen, fahre ich zügig bergauf und zähle die Höhenmeter bis zum Col Saint-Martin runter.

Um 18:25 Uhr erreiche ich die eher unspektakulären Passhöhe des Col Saint-Martin, es folgt die Abfahrt nach Saint-Martin-Vésubie.

Col Nr. 6 – Col de Turini

Die Sonne steht schon etwas tiefer, als ich um 19:00 Uhr die Abzweigung auf den Col de Turini (1.607 m) erreiche. Es wartet fast das selbe Programm wie vorhin am Col Saint-Martin. Nämlich ziemlich genau 1.000 Höhenmeter bergauf. Der Turini ist der letzte längere Anstieg und von Beginn an fahre ich ein zügiges Tempo von etwa 12 Km/h. Die tiefstehende Sonne taucht die Umgebung in ein warmes Licht und landschaftlich ist der Turini wesentlich interessanter und kurzweiliger als der Saint-Martin.

Verkehrsteilnehmer sind praktisch keine mehr unterwegs und es ist ein Genuss, diese Bergstraße mit all ihren Kurven und Kehren zu fahren. Was mich jedoch wundert: Den letzten Three Peaks-Teilnehmer habe ich am Beginn des Col de la Bonette getroffen und es kann doch wohl nicht sein, dass ich bei meinem flotten Bergauf-Tempo keinen weiteren Teilnehmer mehr einhole. Allein dieser Gedanke veranlasst mich, weiterhin ordentlich auf’s Tempo zu drücken und die Links-Kehren fahre ich mittlerweile sowieso schon ganz „links“ …

Auf den letzten paar hundert Metern bis zur Passhöhe ziehe ich mir bereits die Windweste und die Ärmlinge für die Abfahrt an und nehme die letzten 50 Meter vor der Passhöhe im Wiegetritt in einem durchaus sportlichen Tempo. Und hier erblicke endlich einen Three Peaks-Teilnehmer – es ist der Deutsche Christoph T., der sich gerade an der Passhöhe warme Kleidung für die Abfahrt anzieht. Ich bleibe kurz stehen, sage „Hallo“ zu ihm, schließe den Reißverschluss der Windjacke und starte in die Abfahrt. Seinen überraschten Gesichtsausdruck wegen meines Kurzstopps registriere ich am Rande.

Ich bin also mittlerweile voll im „Rennmodus“ angekommen und muss mich auf der kurven- und kehrenreichen Abfahrt nach Sospel etwas zügeln, um nicht einen unnötigen Sturz zu riskieren. Zudem ist die Dämmerung schon weit fortgeschritten, was ohnehin ein Mehr an Sicherheitsreserven verlangt.

Col Nr. 7 – Col de Castillon

In Sospel lege ich um ca. 21:00 Uhr wegen eines leichten Hungergefühls noch einen kurzen Stopp in einem Eisgeschäft ein, wo es auch Getränke und belegte Sandwiches gibt. Ich muss mich sehr beherrschen, als sich vier Urlauber vor mir, die natürlich alle Zeit der Welt haben, mit dem Eisverkäufer über die Vorzüge der verschiedenen Eissorten unterhalten und letztendlich auch beim Zahlen noch darüber diskutieren, wer die gesamte Rechnung begleichen darf. Ich bin schon mehrmals „am Gehen“, doch dann wären die bisherigen Minuten völlig umsonst investiert gewesen. Daher atme ich weiterhin tief durch und darf dann endlich „un sandwich et un cola s’il vous plait“ sagen. Zahle, verabschiede mich mit einem „au revoir“ und ruck zuck sitze ich am Rad. Wäre mir das an einem der Tage zuvor passiert, hätte es mich nicht so sehr gestört, aber jetzt habe ich keine Zeit mehr zu verlieren.

Direkt aus der Ortschaft Sospel beginnt der 360 Höhenmeter umfassende Anstieg auf den Col de Castillon. Sandwich und Cola konsumiere ich auf den ersten Kilometern des Castillon, der mit seinen eher geringen Steigungsprozenten relativ flott zu fahren ist. Es dauert nicht allzu lange, dann erblicke auch Christoph T. wieder vor mir, der mich während meiner Eissalon-Odyssee natürlich überholt hatte. Mein zweites „Hallo“‘ registriert er wieder einigermaßen überrascht, weil ich mit dem ein oder anderen Km/h mehr (erneut) an ihm vorbeifahre.

Der Col de Castillon ist mit seinen 707 Metern Höhe kein ernsthaftes Hindernis und im Schein meines Dynamo-Lichtes starte ich direkt in die Abfahrt nach Menton und damit ans Meer. Bilder gibt es vom Castillon keine – erstens habe ich keine Zeit dafür und zweitens ist es ohnehin finster …

Auf Abwegen unterwegs

Während der Abfahrt nach Menton blicke ich natürlich ab und zu auf meinen Garmin, um nicht irrtümlich eine Kreuzung zu übersehen und so den vorgegebenen GPS-Track des Veranstalters zu verlassen.

Und hier passiert’s: Zwar kein Sturz, aber mein Garmin sagt mir „bitte wenden“! Ich bremse ab, fahre zurück und denke mir, dass ich hier doch keine Abzweigung versäumt haben kann. Beim nächsten Blick auf den Garmin bin ich schon wieder zu weit zurückgefahren. Aber da war doch nur Wald! Ich zoome mich in die Karte hinein und rolle wieder bergab. Und tatsächlich, hier führt ein Wanderweg in den völlig dunklen Wald und der GPS-Track am Display zeigt mir enge Serpentinen an. Vor einigen Minuten habe ich mich schon am Meer gesehen, jetzt stehe ich vor einem Wanderweg und bin einigermaßen überfordert mit dieser Situation. Da der GPS-Track eindeutig über den Wanderweg führt, schiebe und trage ich mein Rad bergwärts. Die ersten 20 Meter war das noch kein Problem, dann folgt ein schmaler, wurzeldurchsetzter Pfad. Der Nabendynamo liefert natürlich schon längst keinen Strom mehr und so suche ich auf einem finsteren Wanderweg stehend nach der Stirnlampe. Finde die endlich und folge fluchend und schimpfend zügigen Schrittes dem Weg. Bin ich da beim Transcontinental Race, das für solche Abschnitte berüchtigt ist?

Der Schweiß fließt bereits unter den Beinlingen als ich nach 80 Höhenmetern endlich einen Schotterweg erreiche. Ich blicke wieder auf den Garmin und plötzlich zeigt er mir eine gerade Track-Linie an. Und hier dämmert’s mir: Der Garmin hat scheinbar eine Abkürzung „gewusst“, weil (vermutlich) die Wegpunkte des vorgegebenen GPS-Tracks zu weit auseinanderliegen. Ein „gibt’s jo net“ hallt durch den finsteren Tann, dann packe ich mein Rad und eile flotten Schrittes (teilweise ist’s eher ein Laufen) wieder den Wanderweg bergab.

Das folgende Foto vom Beginn des Wanderweges habe ich einige Tage später aufgenommen, als ich per Rad nochmals über den Col de Castillon gefahren bin. Der erwähnte Steig beginnt nach dem verlassenen Haus. Am Tag ja ganz nett – wenig bis gar nicht, wenn man in der Finsternis hier ein Rad hochträgt.

Zurück zum Three Peaks: Nach mindestens 15 Minuten erreiche ich endlich wieder den Asphalt, springe auf’s Rad und nach rund 500 Metern ist auch der GPS-Track des Garmin wieder auf der Straße. In rund 15 Jahren „Garmin“ ist mir so etwas noch nie passiert, weshalb ich zunächst gar nicht auf die Idee gekommen bin, dass „er“ eine Abkürzung weiß.

Das Adrenalin schießt mir förmlich aus den Ohren, als ich um etwa 22:30 Uhr Menton erreiche. Eine gefährliche Kombination! Denn Samstagabend ist in Menton „rush-hour“, die Straßen sind voller Autos und ich bin wegen dieser Wandereinlage mit dem Messer zwischen den Zähnen unterwegs. Ich muss mich mehrmals beherrschen, dass ich im dichten Stopp-and-Go-Verkehr nicht zu aggressiv beschleunige und dann vielleicht noch einem bremsenden Auto in die Heckscheibe donnere. Das wäre der Supergau, auf den letzten Kilometern vor Nizza einen Unfall und statt im Ziel im Krankenhaus zu landen. Anstatt mit Vollgas, rolle ich im dichten Verkehr durch Menton und stehe bei jeder zweiten Ampel, die „rot“ zeigt. Eine Prüfung.

Dann ist es endlich so weit: Ich erreiche die Peripherie von Menton und es geht bergauf. Und endlich kann ich fahren, wie ich will.

Col Nr. 8 – Col d’Eze

Ich bin selbst etwas verwundert: Ich bin seit 4:21 Uhr unterwegs, habe über 330 Kilometer und irgendwas über 7.200 Höhenmeter am „Tacho“ und kann während der 550 Höhenmeter auf den Col d’Eze ein Tempo fahren, das nichts mit „irgendwie ins Ziel kommen“ zu tun hat. Das Fernlicht lässt sich ab etwa 15 Km/h aktivieren – und ja, es leuchtet wunderbar hell.

Mir ist klar, dass mich Christoph T. während meine Wald-Exkursion natürlich wieder zurücküberholt haben musste. Und mir ist auch klar, dass der Anstieg zu kurz ist, um ihn nochmals einzuholen. Trotzdem probiere ich es, fahre wie bei einem Bergzeitfahren auf den Col d‘Eze und stürze mich danach in die Abfahrt nach Nizza.

Und genau das will ich jetzt nicht – nämlich „stürzen“. Wie zuvor in Menton muss ich mich zusammenreißen und zügeln, damit ich die Abfahrt in einem normalen und vernünftigen Tempo fahre. Nicht ins Ziel hetzen, sondern die letzten Kilometer genießen und mit einer innerlichen Ruhe über die Promenade des Anglais ins Ziel rollen. Das funktioniert dann doch, nachdem ich mir während der Abfahrt eingestehe, dass mir diese Wald-Exkursion in diesem Moment egal wäre, wenn mir das Malheur irgendwann an einem der Tage zuvor passiert gewesen wäre. Und auch einige Pausen auf Grund von Starkregen und Gewitter haben in Summe mehr Zeit gekostet, als die 15-minütige Wandereinlage. Ärgerlich ist es, aber in Wirklichkeit ist es zu vernachlässigen. Und so habe ich auf den letzten Kilometern der Abfahrt doch noch die Zeit und Ruhe, um anzuhalten, auf eine kleine Mauer zu klettern und Nizza bei Nacht festzuhalten:

Eine innerliche Ruhe und Gelassenheit ist auf den letzten Kilometern am alten Hafen von Nizza und auf der Promenade des Anglais auch notwendig, denn die vielen Nachtschwärmer lassen nur ein langsames Rollen zu. Als ich irgendwann nach Mitternacht im Ziel ankomme, klatschen ein paar gerade anwesende Teilnehmer, der Veranstalter gratuliert ebenfalls und überreicht mir ein Finisher-Bier sowie ein Finisher-Geschenk. Mehr ist davon nicht zu berichten, weil es nicht mehr gibt.

Auch um Mitternacht ist in Nizza viel los (Bild links). Das Luxushotel Negresco (Bild rechts), wo auf der davor vorbeiführenden Promenade des Anglais das Ziel des Three Peaks Bike Race ist.

Im Ziel treffe ich natürlich auch wieder auf Christoph T. Er ist zum dritten Mal verwundert – nun deshalb, weil ich nach ihm ins Ziel gekommen bin. Einige Stunden später sollte ich registrieren, dass ich trotzdem wegen ein paar Minuten Zeitdifferenz vor ihm platziert bin, weil er beim Start in Wien einer früheren Startgruppe als ich zugeteilt wurde. Somit hat sich mein Renntempo währender der letzten zwei, drei Stunden doch ausgezahlt. Auch wenn der 34. Gesamtrang mit 181 Stunden und 8 Minuten letztendlich nebensächlich ist.

Nach den ersten kurzen „Nachbesprechungen“ mit den wenigen Anwesenden sitze ich in Ruhe auf einer Bank, denn plötzlich habe ich wieder „Zeit“. Zeit, um auch langsam zu registrieren, dass das Ganze nun vorbei ist. Gerade jetzt, wo ich mich an den Lebensstil der letzten Tage scheinbar gewöhnt habe und es mir körperlich immer besser ergangen ist. Irgendwie schade.


Fazit

Zufrieden – jedoch ist nach wie vor „Luft nach oben“ vorhanden. Die Tage danach habe ich mir wiederholt die Frage gestellt, ob das nicht etwas schneller auch gegangen wäre. Eine logische Frage, denn im Großen und Ganzen hatte ich keine ernsthaften Probleme. Vermutlich hätte ich jeden Tag 30 Minuten früher beginnen können, was dann in Summe gleich ein paar Stunden ausmacht. Theoretisch. Denn irgendwann ist der Punkt erreicht, wo dann die Müdigkeit ein (Sicherheits-)Problem wird, die ohnehin bereits spärliche Regenerationszeit zu wenig ist und vor allem der Spaß am Radfahren verloren geht. Und diese Zustände will ich jedenfalls vermeiden. Zudem ist man damit auch nicht automatisch schneller im Ziel, das kann auch „nach hinten“ losgehen. Somit habe ich sicherlich sehr viel richtig gemacht – aber wie dünn die „Luft nach oben“ ist, weiß ich auch nach meiner zweiten Teilnahme nicht.

Noch etwas Statistik, denn der Vergleich mit meiner Teilnahme aus dem Jahr 2022 ist durchaus interessant:

  • Die Gesamtkilometer waren nahezu ident. Mit insgesamt 2.320 Kilometer bin ich um nur vier Kilometer weniger gefahren als 2022.
  • Höhenmeter waren es in Summe 35.345 und damit um fast 5.000 Höhenmeter mehr als 2022.
  • Das Mehr an Höhenmetern wirkte sich jedoch mit einem zeitlichen Plus von nur 50 Minuten geringfügig auf die Bruttozeit von 181 Stunden und acht Minuten aus.
  • Die Netto-Fahrzeit war mit 106 Stunden und 42 Minuten um rund fünf Stunden mehr als 2022 und die Ruhezeit entsprechend weniger.
  • Folglich war ich 2024 effizienter unterwegs als 2022. Mit dem 34. Gesamtrang konnte ich jedoch den 29. Gesamtrang von 2022 nicht erreichen. Daraus lässt sich schließen, dass die Dichte im „vorderen Bereich“ zugenommen hat.

Abschließend: Gratulation an jede und jedem, die bzw. der diesen Bericht bis hierher gelesen hat. Ein Three Peaks ist ja auch nicht nach ein paar Stunden zu Ende, da darf (oder muss) diese Geschichte auch etwas umfangreicher ausfallen …

Wer noch immer nicht genug hat: Hier gibt’s einige Eindrücke von der erwähnten Tour de France-Etappe nach Isola2000.